03:00 an einem Samstag Mitte April: Der Wecker läutet und vorsichtig schleiche ich aus dem Schlafzimmer um den Rest der Familie nicht zu wecken. Mein erstes Everesting steht am Plan. Die Regeln sind simpel: Du fährst ein Berg-Strava-Segment so oft rauf und runter bis du aus Sicht der Höhenmeter quasi am Mt. Everest (8.848m) wärst – fertig. Erfunden haben das in diesem Fall nicht die Schweizer, sondern der Brite Mallory. Das Regelwerk gibt den Kandidaten großen Gestaltungsraum: Ort, Zeit und Material sind frei wählbar. Damit kann das Vorhaben sehr gut an die persönlichen Vorlieben angepasst werden. MTB vs RR, kurzer Anstieg vs längere Auffahrt, Nachteule vs Schönwetterfahrer oder Saisonvorbereitung vs Saisonhighlight seien als Entscheidungskriterien hier genannt.
Warum? Die nüchterne Frage meines Nachbars nachdem ich ihm erzählt habe was ich am Samstag mache
In meinem Fall plante ich es als Vorbereitung für die Saison. Als Streckenabschnitt wählte ich einen Anstieg in meiner Nähe mit ~200hm, 2,7km und 8% Steigung. Ich versprach mir davon einen guten Mix zwischen Be- und Entlastung, aber kein auskühlen der Muskulatur nach der Abfahrt. Außerdem kommen mir persönlich kürzere Intervalle mehr entgegen als längere. Mein primäres Material sollte das RR sein. Das MTB hatte ich als Backup mit. Einerseits als Ersatz für nicht reperable Defekte am RR, andererseits als NotNagel und mentales Failover Material. Vorweg: Das MTB blieb am Auto und durfte keinen Beitrag zum Erfolg leisten. Das Auto parkte ich in der letzten Hälfte des Anstieges. Mental finde ich das rückwirkend betrachtet gut.
Die Basisstation
Wie? Und das ist nicht einmal ein Rennen?? Die Reaktion meiner Frau auf meine Info das ich 15h radfahren gehe
Um 04:30 begann der erste Anstieg – und die erste Überraschung: die 3° bewirkten, dass ich doch sehr rasch wach wurde. Bald aber schickte sich der Sonnenaufgang an und Kuckuck, Specht und sonstige Vögel begleiteten mich auf meinen Intervallen. Aber nicht nur die Vögel: Auf einer der Abfahrten, in der Dämmerung vor mir plötzlich …. ein Bär! Oder doch ein Igel? Mist! Wenn ich über den drüber fahre riskiere ich einen Platten! Also Bremsen. Reicht nicht! Den Bremsfallschirm öffnen! Der Igel kommt immer näher! Quer stellen! Ich schaue dem Igel schon in die Augen! Als letzten Ausweg springe ich mit einem doppelten Rittberger über die gefährlichen Stacheln hinweg. *uff* Der Igel verlässt darauf hin meine Ideal-Linie. Ich glaube, der lacht heute noch. Mein Garmin meinte dazu nur: „Neue HFmax“ Es sollte glücklicherweise das einzige ungeplanteErlebnis bleiben. Der Rest lief 45mal nach Schema F ab: unten wenden, auf die Garmin Info für den Beginn des Segmentes warten, Lap Taste drücken, Windbreaker öffnen, trinken und nach einem Schalt-/Leistungsschema kurbeln. Oben wenden, Windbreaker schließen, rollen, nach der ersten links trinken, rollen. Beim Auto vorbei, und dann kam da diese Linkskurve: ein wenig unübersichtlich, nach innen hängend und (für mich) nicht voll zu fahren. Alle 45x probierte ich es ein wenig schneller mit dem Ziel ohne Bremsen von oben bis unten zu kommen. Ich brachte es aber bis zuletzt nicht über’s Herz. Nach 9,5h zwang mich ein Tief zu einer Pause. Meine Leistung lies nach, vor allem aber die Konzentration. So entschloss ich mich für eine kurze Regeneration. Vielleicht bin ich doch nicht mehr so jung wie ich dachte. Ich muss das mal bei Gelegenheit nachprüfen … Jedenfalls waren die Pause und der anschließende Energie-Drink goldrichtig! Frisch und mit der gewohnten Leistung ging es wieder ans Werk. Zu diesem Zeitpunkt begann auch das letzte Drittel. Um 14:00 bekam ich überraschende Motivation in Form von Freunden, meiner Frau und …. Kaffee! So gestärkt ging es ins Finale und wie geplant konnte ich vor Sonnenuntergang die letzte Auffahrt beenden. 9.071hm auf 247km in 14:40 waren die Ausbeute.
48°06’33.7″N 15°53’04.0″E Die Koordinaten des unteren Wendepunktes
Die Energiespender – der Kaffee kam additiv dazu
Strukturierter als bisher gewohnt habe ich mich auf das Vorhaben vorbereitet. Allem voran natürlich das muskuläre Training. Dieses wurde intensiv von meinem langjährigen Trainer Hannes aus dieSportpraxis geplant und begleitet. Keine Ahnung woher er seine Ideen für diese Intervall-Einheiten nimmt. Rückwirkend betrachtet war das schon gut – während der Einheiten selbst hätte ich mir aber des Öfteren eine Voodoo Puppe gewunschen! Mentale Möglichkeiten habe ich ebenfalls gelernt und angewendet. Und ich hatte auch einen Verpflegungsplan: Maltodextrin, Iso mit Salz, Flüssignahrung und Gels sollten die notwendige Energie liefern. Was mich (auch) freut: die Verpflegung war bis zum Ende in Ordnung! Das wirkte sich auch auf die Leistungsbereitstellung aus, welche konstant bis zur letzten Auffahrt war. Eine wertvolle Erfahrung für den kommenden Glocknerman
day after
Fazit: – 3° bergab sind kälter als 3° bergauf – Wo es rauf geht, da geht es auch wieder runter – So ein Berg ist ein interessantes Geschöpf: Den kannst du noch so oft befahren – der gibt nicht auf!